Zu den Arbeiten von Johannes Hüttemann
 

Wir mögen heute munter darüber spekulieren, ob die "Ideen" der Gegenstände im Himmel der Metaphysik und Religion, oder ob sie im Bewußtsein des Ingenieurs oder Designers beheimatet sind, oder ob sie im Datennetz zirkulieren. Die Individualität der Gegenstände - als symbolische Spiegelung der Individualität der Benutzer- konstituiert sich im Lauf der Zeit durch ihren Gebrauch (Buchexponate), durch Erosion und durch Verformung (Buchständer/Holz-Objekte). Der Verschleiß der Gegenstände ist gleichsam die Flucht der Gegenstände aus dem Diktat der normierenden "Idee". Der Verschleiß der Gegenstände ist der Prozeß ihrer Individuation. Die "Ideen" interessieren Hüttemann als Folie, vor der sich - in den Vorgängen des Verschleißes und der Veränderung der Dinge - die Individuation des Menschen spiegelt. Deshalb ist er fasziniert von den Zeitspuren, die ganz einfache Gegenstände aufweisen. Er deutet diese Spuren nicht als Zeichen des Verfalls, sondern sucht sie auf als Zeichen sich entfaltender Individualität. Die Byzantiner produzierten Werke für langfristigen Gebrauch. Eine Ikone konnte Jahrhunderte lang ihren Zweck erfüllen und zeigt die Spuren dieses Zeitraumes. Wir produzieren Objekte zu aktuellem, befristeten Gebrauch. Ein Ausstellungskatalog erfüllt seinen Zweck in wenigen Monaten. Dann verschwindet er unbeachtet in Regalen, bzw. auf dem Ramsch der Museumsläden. Solche Gegenstände zeigen die Spuren ihre kurzen Gebrauchszeit, in der sie unterscheidbar und in diesem Sinne individuell wurden. Hüttemann greift diese Spuren in seinen Werken auf und macht sie so zum Symbol einer Individualität, die den Menschen in einer informationstechnisch umstellten Warenwelt möglich und so wertvoll ist, wie dem Byzantiner die unvergängliche Ideenwelt.

Bielefeld 1996, Martin Unkel